Homophobie oder die Frage, wovon wir eigentlich reden

Häufig lesen wir in den Medien von 'homophoben Äußerungen', 'homophoben Gesetzgebungen' oder 'homophoben Straftaten'. Doch was auf den ersten Blick völlig klar erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als problematisch - nicht zuletzt die Berichterstattung selbst. Ich möchte in diesem Blogeintrag daher der Frage nachgehen, was wir eigentlich meinen, wenn von 'Homophobie' die Sprache ist. Meinen wir wirklich ein und dasselbe Phänomen? Wieso ist der Begriff 'Homophobie' manchmal irreführend?

Wie sich inzwischen wohl herumgesprochen hat, gilt 'Homophobie' nicht als eine Angststörung im herkömmlichen Sinn, sondern stellt eine Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit dar. Einige lehnen den Ausdruck als verharmlosend ab, weil sie die Ansicht vertreten, die angebliche Phobie der Täter_innen würde zur Rechtfertigung herangezogen werden. Dadurch, so argumentieren sie, wird ihnen letztlich die Verantwortung für ihr eigenes Handeln abgesprochen.

Doch all der kritischen Stimmen zum Trotz hat sich der Ausdruck 'Homophobie' in queeren und nicht-queeren Kreisen inzwischen etabliert und Begriffe wie 'Schwulenfeindlichkeit' abgelöst. Dabei sollte jedoch zur Kenntnis genommen werden, dass beide Ausdrücke im schwulen Kontext mehr oder weniger äquivalent verwendet werden, und spezifische Gewalt gegen lesbische Frauen, bisexuelle Menschen gleich welchen Geschlechts, Trans* und Interpersonen etc. kaum mitgedacht wird. Es mag Fälle geben, in denen sich Gewalt ausschließlich gegen schwule Männer richtet, doch ehrlich gesagt halte ich diese für verhältnismäßig selten. Häufig geht es um die Unsichtbarmachung und/oder gar die Auslöschung von Existenzen, die die vorherrschende Geschlechterordnung durch ihr Aussehen, ihre Körper, ihre Geschlechtsperformanz bzw. ihr abweichendes Sexualverhalten grundlegend in Frage stellen. Es geht hier also um wesentlich mehr, als 'nur' die sexuelle Orientierung.

Ich möchte das Ausmaß an Gewalt gegen unterschiedliche Menschengruppen keinesfalls gegeneinander aufwiegen, indem ich mutmaße, wer wann wie oft von Gewalt betroffen ist, doch ich habe den Eindruck, dass die Motivation dahinter oft dieselbe ist. Der Begriff 'Homophobie' greift meiner Ansicht nach einfach zu kurz, indem wir ihn ausschließlich als Gewalt gegen Schwule oder auch Schwule und Lesben begreifen. Andere Formen ähnlich motivierter Gewalt geraten damit schnell aus dem Blickfeld und verschleiern die Dimension 'homophober' Gewalt gegen Bisexuelle aber auch gegen Trans* und Interpersonen - übrigens auch innerhalb der schwul-lesbischen Community. Begriffe wie 'Transphobie' scheinen sich zwar parallel zu 'Homophobie' mehr und mehr durchzusetzen, doch bleibt das ganze Ausmaß auch hier unsichtbar. Ein androgyner Mensch, der sich selbst nicht als trans* sieht, läuft beispielsweise ebenfalls Gefahr, Opfer von 'transphober' Gewalt zu werden - sei sie nun verbal oder physisch. Ich halte es daher für sinnvoll, Begriffskonzepte zu entwickeln, die weiter greifen als bisherige. Aus diesem Grund werde ich anstelle von 'Homophobie' von 'Queerfeindlichkeit' sprechen.

Doch selbst, wenn wir mit Queerfeindlichkeit einen weiterreichenden Ausdruck hinsichtlich der betroffenen Menschengruppen haben, unterscheidet sich die jeweilige Ausprägung je nach Kontext. Anders gesagt, Queerfeindlichkeit/Homophobie ist meiner Meinung nach tendenziell etwas anderes als Heterosexismus oder gar Heteronormativität. Sicher gibt es unzählige Graubereiche, die eine klare Abgrenzung teilweise unmöglich machen. Doch sehe ich diese drei Phänomene eher als aufeinander aufbauend und nicht als Synonyme. Ich möchte versuchen, meine Gedanken mit einfachen Worten zu beschreiben.

Heternormativität: Es handelt sich hierbei um ein gesellschaftliches Ordnungsprinzip, das auf dem Dogma beruht, es gäbe lediglich zwei legitime Geschlechter, die sich stets sexuell aufeinander beziehen. Das heteronormative Ordnungsprinzip umfasst sämtliche Bereiche des Lebens, angefangen mit dem geschlechtsspezifischen Personenstandseintrag, geschlechtsspezifischen Vornamen, geschlechtsspezifischer Kleidung, geschlechts-spezifischem Kinderspielzeug, geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen in der Schule, dem Beruf und dem Privatleben, geschlechtsspezifischen Hobbys und geschlechtsspezifischen Zuschreibungen im Bereich Partnerschaft, Sexualität und Familie/Reproduktion etc.

Heterosexismus: Beruhend auf einer heteronormativen Sozialisation werden - je nach dem, wie rigide diese erfolgte - Abweichungen von der heteronormativen Ordnung als defizitär und minderwertig begriffen. Eine solche heterosexistische Einstellung finden wir beispielsweise in der rechtlichen Privilegierung heterosexueller Paare gegenüber homosexuellen Paaren im Eherecht. Heterosexismus muss sich jedoch nicht direkt in rechtlicher Herabsetzung queerer Menschen äußern, sondern zeigt sich nicht selten mitleidig oder gar verständnisvoll à la 'Sie kann ja nichts dafür, dass sie lesbisch ist'. Charakteristisch ist hier, dass heteronormativen Identitäten ein angeblich biologisches Vorrecht eingeräumt wird, dass ihre rechtliche und gesellschaftliche Privilegierung rechtfertigt.

Queerfeindlichkeit/Homophobie: Im engeren Sinn verstehe ich Queerfeindlichkeit als eine Steigerung, sozusagen eine Art fanatischer Heterosexismus, der heteronormative Identitäten nicht nur als als höherwertig begreift, sondern das daraus abgeleitete Vorrecht durch Unsichtbarmachung und Auslöschung queerer Identitäten durchzusetzen versucht. Dies kann durch offene oder auch subtile Gewalt erfolgen. Die 'Anti-Propaganda-Gesetze' in Russland sind hier gleichermaßen ein Beispiel dafür, wie die Gegner des neuen Bildungsplans in Baden-Württemberg, wenngleich dabei natürlich die unterschiedliche Dimension von Gewalt hervorzuheben ist. Die Übergänge zwischen Heterosexismus und Queerfeindlichkeit mögen fließend sein, doch bin ich der Ansicht, dass sich beide Phänomene hinsichtlich ihrer Qualität unterscheiden.

Nun könnte man argumentieren, es spiele überhaupt keine Rolle, mit welchen Konzepten wir Gewalt gegen queere Menschen erklären, und ob wir sie als Heteronormativität, Heterosexismus oder Queerfeindlichkeit bezeichnen. Der Grund, weshalb ich dennoch der Meinung bin, dass eine bewusstere Ausdrucksweise wichtig ist, ist folgender: Sowohl in queeren, als auch nicht-queeren Medien wird der Ausdruck 'Homophobie' inzwischen inflationär für alle drei Phänomene verwendet. Das wäre an und für sich auch unbedenklich, wenn dadurch nicht die tatsächliche Dimension des Problems verkannt und von wirklich effektiven Lösungsansätzen abgelenkt werden würde. Indem wir ausschließlich von 'Homophobie' sprechen, wird die Heteronormativität und der vorherrschende Heterosexismus gleichermaßen verschleiert wie verharmlost. Die gesellschaftliche Mehrheit bekommt schon durch das vorangestellte Wort 'Homo' vermittelt, dass es sich hier scheinbar nicht um ein gesamtgesellschaftliches, sondern 'lediglich' um ein Minderheitenproblem handelt. Gehe ich zu weit mit der Annahme, dass viele Menschen erwarten, die besagte Minderheit habe sich folglich um ihre Probleme selbst zu kümmern und solle die Mehrheitsgesellschaft nicht damit behelligen? Wer Konzepte wie Heteronormativität/Heterosexismus nicht begreift, befindet sich vermutlich in der glücklichen Lage, zur Mehrheit zu gehören und den gesellschaftlichen Normalzustand infolge der eigenen Privilegierung als neutral oder gar fair empfinden zu können.

Zudem wird sich - auch in queeren Medien - meist auf extreme Fälle von Queerfeindlichkeit fokussiert, so dass die gesamtgesellschaftliche Dimension auch hier aus dem Blickfeld gerät. Die allgegenwärtige aber oftmals weniger offensichtlichere Gewalt wird so unsichtbar und unbenennbar. Sei es das Nicht-Vorhandensein im öffentlichen Raum bei gleichzeitiger heteronormativer Raumeinnahme, das Mobbing an Schulen bei gleichzeitigem Wegsehen der Lehrkräfte, die mediale Ignoranz von nicht-problematisierten queeren Identitäten oder aber das Vorenthalten queerer Vorbilder und Leitfiguren etc. Auch reproduzieren Medien - selbst wenn sie eigentlich gute Absichten haben - nicht selten ein heteronormatives Machtgefälle, indem sie beispielsweise über queere Menschen und nicht mit ihnen sprechen, oder Heterosexist_innen eine Plattform bieten, ihre verletzenden Ansichten öffentlich zu äußern ohne diese angemessen zu kontextualisieren.

Ich frage mich, wie wir Gewalt gegen queere Menschen bekämpfen wollen, wenn wir die Wurzel des Übels - nämlich Heteronormativität - nicht benennen. Wenn wir früh lernen, dass sie bestenfalls eine Option darstellt, die genügend Freiräume für alternative Identitäten lässt, würde künftigen Generationen viel Leid erspart bleiben. Maßnahmen gegen Queerfeindlichkeit sollten sich nicht ausschließlich auf die Symptome eines fanatischen Heterosexismus' in Form von gewalttätigen Übergriffen beziehen, sondern auch auf seine Ursachen. Was wir brauchen, ist ein breites gesellschaftliches Umdenken nicht nur bei der sexuellen Orientierung, sondern auch bei Geschlecht und Geschlechtsidentität. Was wir brauchen, ist eine Sensibilisierung für die tatsächliche Dimension der Gewalt, sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer Community. Doch bevor wir dies erreichen können, ist es erst einmal notwendig, inflationär verwendete Ausdrücke wie 'Homophobie' kritisch zu hinterfragen und ggf. durch Konzepte wie Queerfeindlichkeit zu ersetzen bzw. durch Heteronormativität und Heterosexismus zu ergänzen. Nur so lassen sich die Ursachen benennen, um mögliche Lösungsansätze zu finden.

 

Text von Charlie

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Kommentare: 2
  • #1

    André (Mittwoch, 28 Mai 2014 12:24)

    Ich glaub echt nicht, daß die Normalos was mit Queerfeindlichkeit anfangen können, die wissen doch nich mal was queer heißt. Und selbst unter Schwulen kann keiner da was mit anfangen. Kenn jedenfalls keinen, der sich queer nennt. ich denk es ist besser bekannte worte zu nehmen wie Homophobie, da weiß einfach jeder was gemeint ist. Nur meine meinung.

  • #2

    Charlie (Mittwoch, 28 Mai 2014 13:29)

    @André
    Ja, ich stimme dir zu, wenn du sagst, dass ein Großteil der Menschen den Ausdruck 'Queerfeindlichkeit' bislang nicht versteht. Andererseits nehme ich aber auch zur Kenntnis, dass Begriffe wie 'Homophobie' oder 'Transphobie' sich auch erst in jüngster Zeit in den Mainstream-Medien etabliert haben. Wieso sollte es bei Queerfeindlichkeit anders sein?
    Auch geht es mir gar nicht allein darum, den Begriff 'Queerfeindlichkeit' anstatt 'Homophobie' zu nutzen. Mindestens genauso wichtig finde ich es, je nach Fall, auch von 'Heterosexismus' und 'Heteronormativität' zu sprechen, weil sich die Ursachen von Queerfeindlichkeit so besser offenlegen lassen. Anders gesagt: Spreche ich von 'Homophobie', denken alle zuerst an gewalttätige Übergriffe auf Schwule und Lesben (und machen dabei die Gewalt, die Trans*- und Inter*menschen, Bisexuelle, Androgyne bzw. nicht geschlechtskonforme Menschen etc. erleben, unbenennbar) und nicht an die subtile, alltägliche - scheinbar weniger verletzende - Gewalt. Dass gewalttätige Übergriffe aber nicht plötzlich vom Himmel fallen, sondern eben auf Heteronormativität und Heterosexismus fußen, sollte zumindest benennbar werden. Ich lehne es ab, für all diese Konzepte ein und denselben Begriff zu verwenden, da ich ehrlich gesagt nicht denke, dass 'da jeder einfach weiß, was gemeint ist'...

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