Homosexualität auf dem Seziertisch

In dieser Woche ging es bei Sandra Maischberger um das Thema "Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht die 'moralische Umerziehung'?" Da ich mir die Sendung nicht angesehen habe, möchte ich mir darüber kein Urteil erlauben. Ob die Sendung - abgesehen vom polemischen Titel - viel zu bieten hatte, wage ich bei der Auswahl der Gäste und Maischbergers Talent als Moderatorin ehrlich gesagt zu bezweifeln. Aber immerhin hat es mich dazu veranlasst, mir darüber Gedanken zu machen, was mich an dem ganzen Hype im Vorfeld intuitiv gestört hat.

Dabei bemerkte ich, dass es so ziemlich dasselbe war, was mich immer dann stört, wenn es um die Sichtbarwerdung von Homosexualität oder im allgemeinen nicht-heteronormativer Identitäten geht. Im folgenden Text will ich versuchen, zu beschreiben, um was es mir hierbei konkret geht. Auch möchte ich Denkanstöße geben, wie sich die Problematik angehen lässt, ohne das Machtgefälle zu reproduzieren, auf das ich im folgenden eingehen werde.

Ich möchte mit einem kurzen Beispiel aus meinem Leben beginnen: Ich lasse in ein Gespräch über meine Wohnsituation - ganz nebenbei - einfließen, dass ich mit meinem festen Freund zusammenlebe. Reaktion: "Ach, du bist schwul? Mein Onkel ist auch schwul, aber wir als Familie kommen damit klar..." Das Gespräch über die Wohnsituation war damit erst einmal beendet. Was ich mit dem Beispiel verdeutlichen möchte ist, dass viele Heteros seltsamerweise ständig meinen, einem ungefragt ihr Urteil über Homosexualität unter die Nase reiben zu müssen - ganz egal ob es nun positiv oder negativ ausfällt. Und das selbst dann, wenn es eigentlich um ein völlig anderes Thema geht. Es ist natürlich etwas anderes, wenn sich nahestehende Personen persönlich bei einem outen und auf eine positive Reaktion hoffen. Doch wovon ich hier spreche, ist das penetrante Kommentieren hinsichtlich der Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit etc. von Personen, die sich eben nicht bei einem persönlich outen.

Ähnlich geht es mir immer dann, wenn nicht-heteronormative Identitäten auf dem Seziertisch der Öffentlichkeit zerpflückt werden, um das Für und Wider ihrer Existenz, ihrer Daseinsberechtigung oder ihre Grundrechte zu verhandeln. Ob es sich um die Genitalverstümmlung intersexueller Babys, um das Asylrecht für queere Migrant_innen, um Menschenrechte von LGBTI in Ländern wie Russland, die Abstimmungen zur Gleichstellung der ELP mit der Hetero-Ehe im deutschen Bundestag oder eben auch um Talkshows zum Thema "Homosexualität auf dem Lehrplan" handelt. Schon die Tatsache, dass wir ernsthaft noch darüber diskutieren müssen, ist Teil der Diskriminierung. Es ist Teil einer Einschüchterungskultur, die unsere Grundrechte zum Abstimmungsgegenstand macht und meint, uns nach Gutdünken Lebens- und Entfaltungfreiraum geben oder nehmen zu können.

So sehr mich das Reproduzieren dieses Machtgefälles auch abstößt, so realistisch sehe ich es dennoch. Menschen sind in der Regel soziale Wesen, d.h. wir befinden uns von Geburt an in komplizierten menschlichen Beziehungs- und Hierarchiegeflechten, aus denen wir kaum ausbrechen können. Eine Mehrheit macht die Regeln und zwingt sie - teils offen, teils subtil - ihren unfreiwilligen Mitgliedern auf. Und wenn diese Mehrheit Heterosexualität, Cis- und Endogeschlechtlichkeit als Norm vorschreibt, schafft sie gleichzeitig die Diskriminierungsgrundlage für alle Menschen, die nicht in diese vorgefertigten Schubladen passen. Sie nimmt dabei billigend in Kauf, dass einer Minderheit ihre Existenzberechtigung abgesprochen werden darf, solange es nicht an die eigenen Privilegien geht.

Ausdruck dieses Machtgefälles ist auch, dass eine Norm als nicht erklärungs- bzw. diskussionsbedürftig angesehen wird. Sie besitzt ihre Existenzberechtigung halt einfach aufgrund der Mehrheitsverhältnisse und damit basta. Queeren Menschen wird hingegen abverlangt, dass diese ihre Existenz permanent gegen Angriffe verteidigen müssen, während sich die Mehrheit auf dem heimischen Sofa bei einem Bier und einer Tüte Chips genüsslich zurücklehnt und Diskussionen wie der bei Maischberger fröhlich schmatzend folgt.

Ich habe mir die Frage gestellt, wie sich dieses Machtgefälle durchbrechen lässt. Dabei ist das Problem meiner Ansicht nach, dass ich mit der Beteiligung an solchen Diskussionen meist das Machtgefälle ungewollt reproduziere. Ich festige zum einen die Position derer, die den Zeitpunkt festlegen, an dem darüber gesprochen wird. Nicht andere, sondern wir selbst haben das zu bestimmen! Auch festige ich die Position derer, die den Rahmen festlegen, in dem wir darüber sprechen, d.h. wer überhaupt zur Sprache kommt, wessen Worten Aufmerksamkeit geschenkt wird. Personen, die nicht selbst direkt oder indirekt betroffen sind, haben dazu überhaupt nichts zu sagen. Natürlich haben sie wie jeder Mensch ein Recht auf eine eigene Meinung - und sei sie noch so engstirnig und intolerant - doch weshalb gibt man solchen Personen eine öffentliche Bühne? Und will ich mir wirklich mit solchen Personen den Diskussionsraum teilen? Niemand kann ernsthaft von mir erwarten, dass ich ruhig, respektvoll und abgeklärt mit Leuten diskutiere, die mir meine Existenzberechtigung als gleichwertige Menschen entziehen oder vorenthalten wollen.

Noch problematischer wird es, wenn ich mich auf die inhaltliche Argumentation einlasse. Wenn ich mich beispielsweise herablasse, mit streng religiösen Menschen, die in Queerness einen Widerspruch zum Glauben sehen, darüber zu diskutieren, weshalb Homosexualität nun eine Sünde ist oder nicht, dann habe ich meiner Ansicht nach von vornherein verloren. Ich übernehme unfreiwillig deren Denkmuster und akzeptiere somit ihre Diskussionsbedingungen. In solchen Fällen sollte man vielleicht eher darüber diskutieren, ob meine potentiellen Diskussionspartner überhaupt die geistigen Kapazitäten mitbringen, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema erfordert.

Was also kann ich tun? Um nicht in die Falle des Reproduzierens zu tappen, habe ich eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich akzeptiere die ungeschriebenen Bedingungen anderer und beteilige mich an solchen Gesprächen - mit allen unangenehmen Konsequenzen - oder ich bestimme den Zeitpunkt und Rahmen selbst.

Natürlich kann und sollte eine solche Diskussion laut und öffentlichkeitswirksam geführt werden. Es lässt sich sicher einwenden, dass angesichts der sehr eingeschränkten Außenwirkung von queeren Räumen - in denen Diskussionen zu eigenen Bedingungen stattfinden können - der gesamtgesellschaftliche Effekt sehr begrenzt sein mag.

Dennoch frage ich mich, ob wir unsere Energie nicht eher in die Schaffung eben solcher Räume investieren sollten, statt uns ewig Bedingungen unterzuordnen, die letztlich nichts anderes tun, als das Machtgefälle ständig zu reproduzieren.Wenn Personen, die weder direkt noch indirekt von dem Thema betroffen sind, meinen, sich an der Diskussion beteiligen zu wollen, halte ich das erst einmal auch nicht für verkehrt, solange sie ihre Vorurteile bereit sind, ausreichend zu überdenken. Nur hat es etwas Bevormundendes, wenn die Bedingungen von Diskussionen, die in erster Linie mich selbst betreffen, überwiegend von Unbeteiligten aufgestellt werden. So als sprechen die Erwachsenen mal wieder über das Kindeswohl, während die Rolle des Kindes ausschließlich darin besteht, den Eltern dabei bestätigend zuzunicken. Solange sich die 'Kleinen' gut benehmen und nicht widersprechen, dürfen sie bei den 'Großen' sitzen und brauchen sich nicht mit dem Katzentisch zu begnügen. Müssen queere Menschen solche Diskussionsbedingungen wirklich als Tribut für die gesellschaftliche Akzeptanz hinnehmen? Ich denke nicht. Was wir brauchen, sind queere Räume, in denen wir laut und öffentlichkeitswirksam diskutieren - zu unseren Bedingungen.

 

Text von Charlie

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Laura Frontaliére (Samstag, 15 Februar 2014 07:55)

    Hi Charlie!
    Ein toller Artikel, der mir einmal mehr aus der Seele spricht!!
    Dir und eurem Team Alles erdenklich Gute!
    Laura

  • #2

    Charlie (Samstag, 15 Februar 2014 14:21)

    Hallo Laura,
    ganz herzlichen Dank für dein Feedback und die guten Wünsche!
    Dein Blog ist auch klasse und ich werde sicher regelmäßig dort vorbeischauen.
    Dir auch alles Gute weiterhin,
    Charlie

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